Also das hier ist vegan und feministisch. Weil sonst alles scheiße ist.

Mittwoch, 27. Juni 2012

(Street) Harassment oder: Warum "Hallo" nicht einfach "Hallo" ist.

Triggerwarnung: Schilderung von sexueller Belästigung ab dem fünften Absatz

Vor etwa einem Monat wurde das Thema der sexuellen Belästigung, im speziellen des Street Harassments heiß dikutiert. Ich glaube, angefangen hat die Diskussion mit einem Beitrag von Helga auf der Mädchenmannschaft mit dem Titel Street Harassment - so siehts aus und dann nahm das so seinen Lauf. Faserpiratin hat zwei Artikel dazu geschrieben (Meine Erfahrung mit Street Harassment, Flirten ≠ Belästigung), High on Clichees schreibt Die Straße gehört den Anderen und besonders bezeichnend fand ich einen Artikel vom Rookie Magazine, welches eigentlich eine private Unterhaltung in der Facebook-Gruppe der Redaktion war, dann entschlossen sie sich jedoch dazu, die Unterhaltung als Artikel unzensiert zu veröffentichen (It happens all the Time, engl.).  

Zu dem Zeitpunkt hatte ich auch schon so ein paar Gedanken zu dem Thema, die mir im Kopf herumschwirrten, ich konnte sie aber noch nicht richtig ordnen. Außerdem passierte bei dem Mädchenmannschafts-Artikel ziemlich schnell etwas ganz anderes, als Helga eigentlich vorhatte: Statt auf ein Problem aufmerksam zu machen, über das man dann gemeinsam diskutieren konnte, wurde von der ein oder anderen Person Derailing betrieben, also vom eigentlichen Thema abgelenkt. Unter anderem wurde argumentiert mit "Darf man jetzt nicht mal mehr 'Hallo' sagen?! 'Hallo' ist ja wohl total harmlos, wenn du dich davon angegriffen fühlst, bist du einfach nur überempfindlich!" Im Hinterkopf hatte ich dazu einen bestimmten Artikel, mit dem ich argumentieren wollte, wieso "Hallo" nicht einfach "Hallo" ist. Leider habe ich den Artikel erst jetzt gefunden - also erfolgt meine Auseinandersetzung mit dem Thema auch erst so spät. Das ist aber nicht allzu schlimm, das Thema ist eigentlich immer aktuell. Den Artikel "The Politics of Hello" findet ihr hier, meine Gedanken dazu folgen im unteren Teil.

Aber was ist Street Harassment denn eigentlich? Wie Faserpiratin möchte ich da auf stopstreetharassment.org verweisen. Mit Street Harassment sind folgende Handlungen gemeint: 

anzügliche Blicke, pfeifen, hupen, Kussgeräusche, nicht explizit als sexuell gewertete Kommentare, aber eben auch sexuell aufgeladene Kommentare, vulgäre Gesten, Stalking, öffentliche Selbstbefriedigung, sexuelle Berührungen, Körperverletzung und Mord.

Und ja, das kann auch mal nur ein einfaches "Hallo" beinhalten. Oder "Hey, du bist süß." Oder sonst etwas. Erschreckend ist, dass alle Mädchen und Frauen, mit denen ich mich schon mal über das Thema unterhalten habe, keine war, die noch nicht in irgendeiner Weise Erfahrung mit dieser Form von Belästigung gemacht hat. Leider muss man sich des Öfteren dafür rechtfertigen, oder sich anhören, man würde übertreiben, man soll sich nicht so anstellen, es sei doch bestimmt nett gemeint gewesen. Dazu soll gesagt sein, dass es sich bei Street Harassment nicht um eine Form der Kontaktaufnahme handelt - es sind Handlungen die einzig und allein dazu führen, die Betroffenen zu verunsichern.

Ich werde im Folgenden ein paar Beispiele schildern, die ich unter das Thema "sexuelle Belästigung" zusammenfassen möchte, die Grenzen sind da sehr fließend und nicht jede Belästigung findet im öffentlichen Raum statt, die meisten Formen der Belästigung haben aber mindestens einen ähnlichen Effekt. 


Ich bin ca. zehn Jahre alt. Meine Armbanduhr ist kaputt, ich fahre zum Uhrenmacher in der Stadt. Dieser sagt mir, ich kann in einer Stunde wieder kommen. Ich weiß nicht was ich in der Zwischenzeit machen soll, kaufe mir ein Eis und setze mich auf die Bank vor dem Laden. Ein Junge kommt vorbei, er ist maximal drei Jahre älter als ich, aber schon sehr groß und kräftig. Er spricht mich an, möchte mit mir reden, ich bin zu schüchtern um zu sagen, dass ich das nicht möchte, sage nur "hmmmmm." und schaue weg. Er steht wieder auf, stellt sich hinter mich, legt seine Hände um meinen Hals, würgt mich leicht und fragt "Tut das weh?", ich sage "Ja klar!", er würgt noch fester. Ich bekomme Panik, reiße mich los und renne in den Laden. Erzählt habe ich die Geschichte zum ersten Mal ungefähr acht Jahre später.

Auf der Arbeit ist ein Typ mit Kollegen von mir befreundet, im Folgenden nenne ich ihn Tom. Tom findet sich selbst ziemlich toll und schleppt reihenweise Frauen ab. Vermutlich denkt er, jede Frau findet ihn geil, keine Ahnung. Er ist ein großen Freund von Küsschen-Küsschen-Begrüßungen und Berührungen im Allgemeinen. Das finde ich bei guten Freunden von mir nicht so schlimm, ich bin zwar nicht besonders körperbetont, aber wenn das alles auf einer freundschaftlich-brüderlichen Ebene abläuft, ist das ok für mich. Bei ihm ist das anders, er hat immer diesen gewissen Augenaufschlag, ein Zwinkern und dieses "heeeeyyyy, na, Dani....." mit im Gepäck. Er umarmt länger als andere Menschen, schaut tiefer in die Augen, streichelt über die Schulter, massiert ungefragt den Nacken usw. Das hat auch nichts mit mir persönlich zu tun, er macht das einfach bei allen Frauen. Ich sage ihm, ich mag das nicht so gerne, er soll das bitte lassen. Tom akzeptiert das eine Weile, begrüßt mich seitdem aber immer mit "Heeeeey, bei der Dani muss ich immer so vorsichtig sein" *zwinkerzwinker*. Irgendwann hat er es wohl vergessen, er macht es jetzt wieder genau so wie vorher. Ich habe keine Lust es ihm nochmal zu erklären und versuche hauptsächlich, ihn einfach zu ignorieren.

Eines Abends bin ich sehr gefühlsduselig, in meiner Familie ist etwas passiert, was mich emotional sehr aufgerüttelt hat. Wir sitzen in einer Gruppe zusammen, alle trinken Alkohol, ich werde gesprächig und emotional. Irgendwann  ist es spät, wir sind nur noch zu zweit und die Person möchte mich trösten, nimmt mich in den Arm - alles ok so weit. Als wir gehen wollen umarmt mich die Person von hinten und fasst mir von oben unter mein T-Shirt an die Brüste - ich erstarre. Ich hatte das nicht erwartet, bin total verunsichert und verwirrt, verstehe die Situation nicht. Ich kenne die Person gut, sie ist viel älter als ich, niemals war irgendetwas Sexuelles vorgefallen. Im selben Moment wie ich mich aus der Situation befreien möchte, lässt er mich los, entschuldigt sich. Ich nuschel "egal, egal." und gehe. Am nächsten Tag ruft er mich an und entschuldigt sich nochmal, ich glaube ihm auch und sage wieder "egal, egal, vergessen wir das." Ich habe keine Angst vor der Person, tatsächlich denke ich selten daran, aber wenn, dann frage ich mich immer wieder, was da eigentlich passiert ist. Bis heute gehört die Person zu einem Kreis von Menschen, die ich regelmäßig sehe, ich kann und will das auch aus bestimmten Gründen nicht ändern, deswegen habe ich die Sache sofort ignoriert und verdrängt und noch niemals jemdandem davon erzählt.

Ich komme von der Uni, es ist mitten am Tag. Drei Jungs, etwa mein Alter quatschen mich an und fragen, ob ich ihnen den Weg in die Stadt erklären könnte. Ich mache das, die drei Jungs lachen sich schlapp, ich denke ich habe vielleicht etwas dummes gesagt und frage, was nicht stimmt. Die Jungs lachen weiter, einer sagt "Ach nichts, wir wissen selbst, wie man in die Stadt kommt, wir wollten dich nur eigentlich fragen, ob du mit uns ins Pacha kommst!" (Anmerkung an alle nicht-Kölner_innern: Pacha ist ein ziemlich großer und bekannter Puff in Köln.) Ich fühle mich dumm und scheiße, sage "Ach, fickt euch doch." und gehe weiter. Hinter mir höre ich, wie sich sich gegenseitig auf die Schulter klopfen , lauthals lachen und das total lustig und geil finden.

Situationen auf dem Weg von der Arbeit nach Hause (oder auch mal nach dem Feiern), meistens ist das zwischen zwei und vier Uhr nachts, fasse ich mal zusammen: "Heyyyyyyy, bleib mal stehen!", "Ey, du bist voll geil!", "Dein Fahrrad ist aber laut, kann ich bei dir schlafen, wenn ich das repariere?!", "Ey guck mal, die Alte da!" - "Nee, die is voll schäbig!", "Hallo, hallo, willst du mich heiraten?", "Du bist ja voll süß, gibst du mir deine Nummer?" uswusf.

Eine mir nahe stehende Person - im Weiteren Julia genannt - ist 16 Jahre alt und alleine zu Hause. Ein alter Freund der Familie - im Weiteren Thomas genannt - wurde von Julias Mutter beauftragt irgendwas handwerkliches im Haushalt zu erledigen, Thomas hat einen Schlüssel und kommt unangemeldet vorbei. Julia weiß nichts davon, steht Sonntags morgens auf, geht ganz normal in Schlafsachen in die Küche und macht sich etwas zu Essen. Thomas kommt aus dem Keller, ist überrascht, dass Julia da ist, setzt sich zu ihr und die beiden unterhalten sich. Sie bemerkt seine Blicke auf ihren nackten Beine und ihrem Dekolletee, sie fühlt sich langsam unwohl. Er kommt näher, fasst sie an den Beinen an und stellt ihr Fragen, ob das okay für sie wäre. Julia fühlt sich wie versteinert und braucht eine gefühlte Ewigkeit, bis sie aufspringt, in ihr Zimmer rennt und die Türe abschließt. Sie ruft ihre Mutter an um sie zu bitten nach Hause zu kommen und die Schlösser zu wechseln, diese meint, sie "hätte das bestimmt missverstanden, Thomas kenn ich schon seit meiner Geburt" und kommt erst zwei Tage später wieder nach Hause. Nach mehreren Wochen lässt sie neue Schlösser anbringen, nach ein paar weiteren Wochen fragt sie Julia, ob sie nicht noch mal mit Thomas reden wollen würde, er hätte ihr erklärt, sie hätte das bestimmt falsch verstanden. Desweiteren versucht sie, Julia davon abzubringen Thomas anzuzeigen und versucht sogar über ihre Freundinnen und ihre Schwester Druck auszuüben.
Der Alterunterschied zwischen Julia und Thomas beträgt - geschätzte - 50 Jahre.


Das letzte Beipiel passt schon eigentlich gar nicht mehr in das Thema Street Harassment, mir geht es jedoch darum, die Allgegenwärtigkeit von sexueller Belästigung zu zeigen - und mit Allgegenwärtigkeit meine ich nicht, dass ich jeden Tag belästigt oder missbraucht werde - sondern viel mehr ein Klima, das herrscht, in dem man sich als Mädchen oder Frau darauf einstellt, dass es immer und überall zu Übergriffen und dummen Kommentaren kommen könnte, weil jede das selbst schon mal erlebt hat, oder eine kennt, die das schon erlebt hat, oder eine kennt, die eine kennt... Oft wird dann Victimblaming betrieben. "Naja, du bist halt nachts alleine unterwegs, da kann das passieren, wunder dich doch nicht." oder "du hattest halt so kurze Sachen an, ist doch klar, dass ein Mann da so drauf reagiert." "Du hast das falsch verstanden, das war nicht so gemeint" ist auch ein Klassiker. Ich weiß gar nicht, was ich schlimmer finden soll - die Belästigung oder die Umkehrung der Schuldfrage.


Aber was ist jetzt dran, am einfachen "Hallo"? Fakt ist folgendes: Das Wort 'Hallo' hat erst mal nichts Sexuelles. Selbstverständlich fühle ich mich nicht jedes mal belästigt, wenn man 'Hallo' zu mir sagt. Aber es hat schon Kontexte gegeben, in denen dieses eine, scheinbar neutrale Wort gereicht hat, um mich belästigt zu fühlen. Es kommt nämlich - Oh Wunder! - ganz auf das Wie an. Möchte mich jemand ansprechenen und wirklich kennen lernen? Oder möchte sich jemand einen Spaß machen, mich ärgern, etwas Aufmerksamkeit erregen? Das perfide an "Hallo" ist, dass es eben so neutral und sogar freundlich wirkt/wirken kann. In vielen Situationen, sagt "Hallo" aber etwas ganz anderes, bzw. viel mehr aus: "Hallo, Frau, sieh mich an, reagier auf mich, sei dankbar dafür, dass ich dich gut finde." 
Das ist der problematische Punkt. Ich muss nicht dankbar für Belästigung sein, ich muss nicht dankbar dafür sein, dass jemand mich geil findet, es muss mich nicht mal interessieren. Ein "Hallo" in diesem Kontext drückt eine Selbstverständlichkeit aus, die es nicht geben sollte, eine Illusion desjenigen, der es gesagt hat. Es ist keine Begrüßung, sondern eine Forderung, die mich als Subjekt degradiert und zum Objekt macht. Gleichzeitig kann man hinterher aber sagen "Was denn, ich hab doch nichts gemacht!". Und erklärt mal einem, sagen wir mal Polizisten oder einer Polizistin, dass ihr euch belästigt gefühlt habt, weil euch jemande mit einer international verständlichen Floskel gegrüßt hat. Klappt nicht? Richtig, war ja auch nicht so gemeint, jetzten seien Sie mal nicht so, der Herr wollte doch nur freundlich sein.


Faserpiratin verweist auf den Artikel von High On Clichees "Wie verhalte ich mich möglichst nicht wie ein Arsch?" Dort werden meiner Meinung nach sehr gute, logische und irgendwie selbstverständliche "Regeln" erklärt: Achte auf die Körpersprache deines Gegenübers, sprich ihn/sie nicht in Situationen an, aus der es kein "Entkommen" gibt, halte Abstand, respektiere Ablehnungen usw. Tatsächlich ist es doch so: Wie viele Liebesgeschichten haben damit angefangen, dass eine Person sich auf der Straße in eine unbekannte Person verknallt und diese dann zugetextet hat? Und nein, Hollywood zählt nicht.  Nicht, dass das gar nicht geht - ich bin auch schon mal in der Bahn angesprochen worden, von einem Typ, der deutliches Interesse hatte, jedoch höflich war und alle der oben genannten "Regeln" intuitiv beachtet hat. 
Wer mich kennen lernen möchte, macht mir nicht im Vorbeigehen einen Kussmund, sagt nicht "ey, geiler Arsch!" und der/die merkt auch, dass ich nicht möchte oder nicht interessiert bin, wenn ich in einer Unterhaltung nur einsilbigen Antworten gebe, ständig nach rechts und links oder auf den Boden schaue, oder eben auch ganz klar sage "Nein, ich bin nicht interessiert!". Es geht um Grenzen, die eingehalten werden müssen, diese zu erkennen ist nicht schwer, sich darüber hinwegzusetzen ist ein bewusster Akt, der die Person absichtlich verunsichert oder sogar demütigt. 
Wenn man jemanden sympatisch findet, dann findet man auch einen Weg, die Person in ein Gespräch zu verwickeln. Z.B. über das Buch, welches die Person gerade liest (er will nicht unterbrochen werden? - Okay, dann lass ihn.), über die Bahn, die immer zu spät kommt (sie schaut dich nur genervt an? - Sorry, kein Interesse.), ob sie die Party auch so scheiße findet, das Bild in der Ausstellung auch so toll und so weiter. Es gibt hunderte Möglichkeiten, Menschen freundlich und interessiert anzusprechen, ein plattes "Hallo" gehört nur selten dazu und letzten Endes ist es meine Entscheidung, wann ich mich belästigt fühle und da gibt es dann auch nichts zu diskutieren.

Mittwoch, 13. Juni 2012

Meeting the Captain

Heute habe ich mich mit einem Teil der Kochen ohne Knochen-Crew auf den Weg nach Frankfurt gemacht, um dort Paul Watson und Peter Hammarsted von Sea Shepherd zu treffen und gemeinsam zu interviewen. (Paul Watson ist vor einigen Wochen in Deutschland festgenommen worden, mehr dazu in diesem Video.) 
Ich muss natürlich zugeben - aufgeregt war ich auf jeden Fall, Sea Shepherd ist eine Organisation, mit der ich mich in vielen (nicht in allen!) Punkten identifizieren kann. Meine Aufregung war insofern unbegründet, als dass die zwei sehr locker und angenehm waren - eine schöne Grundlage für ein gutes Interview. Meine eigentliche Sorge war aber viel mehr, dass es eben doch so den ein oder anderen Punkt gibt, der mir bei Sea Shepherd Bauchschmerzen bereitet - wie die Zusammenarbeit mit Brigitte Bardot, bzw. ihrer Tierschutzorganisation. Diese ist eben nicht nur für ihre Tierliebe bekannt, sondern auch für ihre Nähe zur (extremen) französischen Rechten, dem Front Nationale und für entsprechende Äußerungen (siehe hier). Auch vor dem Interview war ich mir darüber im Klaren, dass es kein Szenario gibt, was diese Zusammenarbeit für mich irgendwie erklärbar/akzeptierbar/entschuldbar macht. Die Frage letztendlich zu stellen hat mich dann doch etwas Mumm gekostet und ich habe auch ehrlich gesagt erst etwas drumherum gedruckst, bis ich zum Punkt kam. Und ja, Paul und ich, wir sind da nicht einer Meinung. 

Ich möchte ungerne vorgreifen, das Interview erscheint ja in voller Länger in der nächsten Kochen ohne Knochen Ausgabe, aber ich würde gerne für mich persönlich festhalten, was gerade so in meinem Kopf herumschwirrt und das ist vor allem eins: Ich bin eine verdammte Heuchlerin! Ich komme auf gar keinen grünen Zweig mit seiner Meinung, ich finde ihn, oder zumindest seine Arbeit trotzdem gut. Ich finde es ist ein Witz, dass er in Deutschland, oder überhaupt verhaftet wurde, verglichen mit dem, was die Fisch/Hai- und Wahlindustrie bzw. -lobby weltweit so anstellt ist das blanker Hohn und ich würde darüber lachen, wäre es nicht so verdammt ernst.
Paul sagt, er kämpft für diesen Planeten und dafür, dass es weiterhin Leben darauf geben kann. Er sagt auch, jeder Unterschied zwischen Menschen, sei gemacht, sei nicht echt und er stimmt mit mir darüber überein, dass eine Seite der Menschen die andere (viel größere) Seite ausbeutet und ihnen dann auch noch verbietet legal in die Länder einzureisen, die sie ausbeuten. Er findet das auch scheiße. Er findet aber - und spätestens jetzt werde ich etwas polemisch und überspitze bewusst  - grundsätzlich alle Menschen scheiße und geht nicht davon aus, dass Menschen, vielmehr die Menschheit irgendwann irgendetwas aus purer Vernunft besser machen wird. Man muss sie zwingen, drängen, Druck machen mit der einzigen Sprache, die sie verstehen: Geld. Tu niemandem weh, töte keinen, aber lasst uns die ökonomischen Strukturen zerstören, so dass sich XYZ nicht mehr rechnet. Das kann ich noch nachvollziehen, sicher bin ich mir da allerdings nicht. Sein Verständnis vom Menschen geht eher in die Richtung, dass die Hierarchien, wie wir sie jetzt haben reiner Zufall sind und alles auch anders hätte laufen können. Schwarze hätten auch Weiße ausbeuten können, Frauen hätten auch über Männer herrschen können. Alle würden es auch jetzt tun, wenn sie denn könnten. Genau so, wie sie auch alle die Erde ausbeuten, die Ökosysteme zerstören und sich einen Dreck um alles Leben scheren, was für diese Welt eigentlich essenzieller ist als der Mensch. Der Mensch als Plage, als Pest, unbelehrbar und gierig. Ich muss sagen, hätte ich ein solches Weltbild, ich würde einfach gar nichts mehr machen. Manchmal finde ich mich selbst etwas zu zynisch und vor allem zu ernst. Würde ich aber so konsequent schlecht von Menschen denken, hätte ich schon überhaupt keine Energie mehr, irgendwas zu tun. Er schon, weil es ihm nicht um Menschen geht, sondern um alle anderen Lebensformen, die unter den Menschen leiden, die will er retten. Daraus speist sich dann auch die Erklärung für seine Zusammenarbeit mit Brigitte Bardot: Er ist mit ihr nicht bei allem einer Meinung, genauer gesagt, teilen sie exakt eine gemeinsame Leidenschaft, aber sie hat seiner Meinung nach schon mehr für die Erhaltung der Erde getan als viele Andere und mehr interessiert ihn gar nicht.
Auch nach dem eigentlichen Interview hat Paul das Gespräch gesucht und wir haben uns noch eine Weile über internationale Zusammenhänge, Herrschaftsverhältnisse usw. unterhalten und er hat versucht, mir näher zu erklären, wieso letztenendes für ihn nur eine Sache zählt, während ich gesagt habe, dass mir eben auch Menschen wichtig sind und vor allem auch, welche ungleiche Möglichkeiten Menschen als Perspektive für ihr Leben haben und dass ich auch das für gemacht und nicht natürlich halte. 
Paul Watson ist ein Mann, der es gewohnt ist, dass Menschen ihm zuhören. Er weiß sehr viel, ist erfahren und belesen, zitiert Margarete Mead, Gandhi und Martin Luther King und vergleicht seine Methoden mit den ihren. Gößenwahn? Ja, vermutlich schon. Auf der anderen Seite: Wie viel mehr Wale, Delfine, Haie und andere Meereslebewesen wären ohne Sea Shepherd jetzt tot? 


Für mich heiligt nicht jeder Zweck jedes Mittel. Aus dem Grund sage ich nach wie vor: Ich bin mit ihm in einer für mich sehr wichtigen Sache überhaupt gar nicht einer Meinung. Ein Aber kommt trotzdem: So inkonsequent und heuschlerisch das sein mag, ich finde Sea Shepherd gut und ich möchte ihren Einsatz nicht missen. Ich würde mir wünschen, dass dieser in Zukunft ohne Hilfe aus dem rechten Lager passiert. Mit denen will ich nämlich für überhaupt nichts gemeinsam kämpfen.

von links nach rechts: Tom, ich, Joachim, Paul, Ines, Peter