Vorweg: Hier geht es speziell um die Veranstaltung in Köln. Da die Orga-Teams meines Wissens nach sehr viel Spielraum in der Ausgestaltung hatten, möchte ich ausdrücklich nicht für die Aktionen in anderen Städten sprechen. Desweiteren habe ich mich schlicht aus Zeitmangel im Vorhinein kaum mit der Aktion im allgeminen, ihrer Geschichte und Entstehung auseinandergesetzt.
Ich schreibe diese Kritik, weil ich Aktionen gegen Gewalt an Frauen wichtig finde. Und notwendig. Ich finde es toll, dass so viele Debatten und Bewegungen ihren Weg in den Mainstream finden. Die Sl*tWalks, #aufschrei, One Billion Rising, um mal die populärsten zu nennen. Aber das muss besser werden. Inklusiver, barrierefreier, diskriminierungsfreier, sicherer. Gerne auch lauter und wütender. Konsequenter und radikaler. Es gibt viel zu tun.
An One Billion Rising habe ich von Anfang an nicht so große Erwartungen gestellt. Hingegangen bin ich hauptsächlich, um mir das mal anzuschauen und um Freundinnen zu treffen. Denn Kritik gab es im Vorhinein genug und die wurde in weiten Teilen ignoriert. Zum Beispiel die Stellungnahme von GLADT – eine Stellungnahme auf ein offizielles Video zur Kampagne, welches sehr gewaltvoll ist, rassistische Stereotype bedient und reproduziert und zudem nur eine cis-hetero-Welt abbildet. Speziell bei der Veranstaltung in Köln machte mich außerdem die Aufmachung etwas skeptisch. "Unterstützt" von Marketing- und Veranstaltungsagenturen kam mir das Ganze doch fast vor, wie eine Party. Die Choreographie wurde in einem Fitnessstudio für Frauen trainiert ("Ruby Gym – Körperkultur für Frauen") – was ja vielleicht "praktisch" sein mag, bei mir aber einen schalen Beigeschmack von Körpernormierungen und Schönheitsidealen hinterlässt.
Betroffene verhöhnen vs. den Körper reclaimen
Obwohl die Kritik daran, dass Tanzen für Betroffene von (sexualisierter) Gewalt höhnisch sein kann, berechtigt ist, habe ich generell nichts gegen Tanzen im allgemeinen auf Demos, solange es nur ein (!) Element von mehreren darstellt und nicht als "für alle total toll" angepriesen wird. Ich habe auch nichts gegen "fröhliche" Demos. Ich mag es, auch zu unangenehmen Themen Utopien und Gegenentwürfe zu entwickeln und diese in einer positiven Art aufzubereiten oder zu präsentieren. Und wer kann, die/der* darf von mir aus alles für sich reclaimen was sie/er* will. Das alles kann Spaß und Mut machen, Kreativität wecken und anspornen. Eben empowernd sein. "Nur" wütend zu sein und zu meckern macht (mich) manchmal müde, tut weh, erschöpft. Dabei brauche ich Halt und Kraft, denn ich will mehr, ich will gestalten und es besser machen!
Tanzen ist eine Ausdrucksform von vielen, speziell diese Ausdrucksform zu wählen kann ich auch in dem Sinne verstehen, als dass es bei der Aktion eben um (den eigenen) Körper geht – warum diesen dann nicht selbstbestimmt einsetzen? Warum nicht gleich versuchen "Tanz" von ästhetischen und sexuell aufgeladenen Zwängen zu lösen, den er für viele Frauen beinhaltet? Geklappt hat letzteres zumindest nicht. Wobei – das war wohl auch nicht der Anspruch. Die Choreographie war für mein Empfinden der zentraler Teil der gesamten Aktion. Von anderen Aktionen oder Demobestandteilen, wie zum Beispiel Flyern oder Plakate und Transpis basteln war mir nichts bekannt. An vielen Stellen, waren Frauen unsicher "ob sie denn da tanzen müssen". Eine Unsicherheit, die ich verstehen kann, ich mache das nämlich auch nicht besonders gerne. Nicht in der Öffentlichkeit. Schon gar nicht, wenn Presse anwesend ist. Und ehrlich gesagt auch nicht so gerne bei einer einheitlichen Choreographie. Es gibt viele Gründe, wegen derer Frauen* sich unwohl fühlen könnten, sich an dem Tanz zu beteiligen. (mangelnde Zeitressourcen, Behinderungen usw.) Eine Auseinandersetzung damit hat meines Wissens nach nicht stattgefunden.
Gerade denke ich vor allem noch darüber nach, was diese Choreographie für mich bedeutet. Ich bekomme das noch nicht ganz zusammen, aber auf dem Weg nach Hause ist mir der Gedanke gekommen, dass ich mich vielleicht deswegen nicht wohl damit fühle, weil sie auch ein Teil des künstlichen Vereinheitlichungsprozesses ist, der mich hauptsächlich an dieser Aktion gestört hat. (Mehr dazu später.) "Wir Frauen", die ja alle die selben Erfahrungen machen (haha), tanzen auch alle den selben Tanz. Globale Solidarität soll das wohl darstellen. Für mich ist es das nicht. Eingebettet in dieser konkreten Situation fühlte es sich ausgrenzend an.
Wer kann sich eigentlich wo wohl und sicher fühlen?
Das bereits angesprochene Video hat ebenfalls im Vorfeld schon für Unsicherheiten gesorgt. Via Twitter kam die Frage auf, ob es auf der Veranstaltung selbst zu sehen sei, was für einige Frauen* ein Grund gewesen wäre, nicht zu kommen, da sie keine Lust hatten, sich dieses rassistischen Kram auf einer Veranstaltung zu geben, die eigentlich doch empowern soll. (Oder will?) In einem kurzen e-Mail-Verkehr zwischen mir und einer der Ansprechpartnerinnen aus Köln wurde mir mitgeteilt, dass es keine Pläne gebe, das Video zu zeigen. So weit so ok. Stutzig wurde ich, als es hieß, dass sie noch gar nichts davon mitbekommen haben, dass es eine Kritik gibt. Okay, als Veranstalterin gibt es natürlich viel zu tun, in Köln ist immerhin die gesamte Woche vorher Karneval gewesen, ein Ausnahmezustand also. Merkwürdig finde ich es aber trotzdem, da zumindest mir die Kritik aus allen Ecken und Richtungen entgegen kam und für eine Auseinandersetzung ganz besonders seitens der Orga wichtig gewesen wäre. Richtig genervt war ich dann vom Satz "Wir sind bisher eigentlich davon ausgegangen, dass unsere Veranstaltung offen für alle Interessierten ist (ist ja auch keine reine Frauenveranstaltung) und ich hoffe sehr, dass sich in dem Rahmen auch alle möglichst sicher und Willkommen fühlen." So so. Da wird also einfach mal von etwas ausgegangen und gehofft. Tut mir überhaupt nicht leid, dass mir das nicht reicht. Wer das wirklich möchte, tut auch etwas dafür. Schafft Strukturen, zum Beispiel ein Awareness-Team, gibt Statements raus, klare Ansagen, Positionierungen, Distanzierungen. "Hoffen" heißt für mich: "Oh, du fühlst dich nicht wohl? Ist ja schade." Ach, eigentlich heißt es für mich sogar "Pech gehabt."
"Wir" Frauen – wer ist das eigentlich?
Durchgehend wurde von einer homogenen Gruppe gesprochen. "Wir Frauen" und ja, auch "überall auf der Welt" wurde da gesagt. Dass Gewalt gegen "uns" ein globales Problem sei. Die angesprochene Gewalt wurde dann trotzdem gerne in andere Länder geschoben, die supidupi weit weg sind. Es geht auch nicht um "wir" und "die anderen". Das ist zu einfach. Wir leben in Strukturen, die verschiedene Arten von Diskriminierung nicht nur begünstigen, sondern festigen, jeden Tag. Und sie wirken alle zusammen. Als zum ersten mal Rassismus und Homophobie angesprochen wurden (btw. Hat eigentlich eine das Wort "Sexismus" gehört? Ich nicht.), war bereits eine Stunde vergangen. Und wer hats angesprochen? Eine Vertreterin von Agisra. Agisra e.V. ist eine Informations- und Beratungsstelle für migrierte und geflüchtete Frauen. Also ein Verein, der gerade eben für Frauen da ist, die von Rassismus betroffen sind und ha! einige ja sogar auch von MEHREREN diskriminierenden Strukturen, wie Rassismus UND Homophobie, OMFG!
Ist das denn so schwer? Bei einer Veranstatung, die auf der ganzen Welt stattfindet die Aufmerksamkeit auf die vielen verschiedenen Lebensrealitäten von Frauen* zu lenken? Nicht nur zu sagen "Und in Afghanistan ist es ja auch ganz schlimm"? Sondern darüber zu sprechen, wer HIER alles betroffen ist? Die weiße Hetero-Norm zu verlassen? Über prüde Doppelmoral gegenüber Sexworkerinnen* zu sprechen? Über Ausbeutung von Frauen* ohne legalen Aufenthaltsstatus? Über die katastrophale rechtliche und medizinische Situation von Transpersonen? Über absurde heterosexistische Adoptionsrechte? Über das Konzept von Zweigeschlechtlichkeit? Über Muttermythen? Über Pathologiesierung, über Ent- und Übersexualisierung? Darüber, dass viele Frauen* nicht nur mit einem dieser Probleme klarkommen müssen, sondern gleich mit mehreren?
Da sind Frauen* mit so vielen Lebensrealitäten, die von Repressionen und Diskriminierungen betroffen sind. Da ist (leider, verdammt noch mal!) so viel Material für mehr als "Gewalt gegen Frauen ist schlecht."
Kein "Dankeschön" für Selbstverständlichkeiten
Richtig negativ aufgestoßen ist mir diese immer wieder und wieder und wieder und wieder bekundete Dankbarkeit für die handvoll anwesenden Männer. Ja, es waren ein paar da, so weit ich das mitbekommen habe gab es auch keine Übergriffe und kein Dominanzgehabe und das ist natürlich gut. Aber wieso verdammt noch mal soll ich dafür dankbar sein, dass ein paar Männer* anscheinend Gewalt gegen Frauen auch scheiße finden? Ich finde das nicht zu viel verlangt. Männer* müssen mitmachen, sich angesprochen fühlen. Ohne geht es logischerweise nicht. Es macht mich eher wütend und traurig, dass das keine Selbstverständlichkeit ist. Und ich finde außerdem, dass es an einem Tag, an dem es ein mal (ich wiederhole mich) um Gewalt gegen Frauen geht, sehr absurd, wenn ständig Männern* "Danke" gesagt wird (dafür, dass sie nicht scheiße sind oder was?!), während gleichzeitig die Lebensrealitäten so vieler Frauen dadurch, dass sie nicht benannt und thematisiert wurden, unsichtbar gemacht wurden. Das lässt diese Danksagungen zum Teil des Problems verkommen. Allerdings passte das inhaltlich auch hervorragend zu den Beiträgen.
Grenzen? Konsens? Verantwortung? Wasn das?
Die (Rede)Beiträge... Bestimmt wurden auch gute Sachen gesagt. Hoffe ich. Aber auch so viel Mist! Da wurden "Schuld" und "Verantwortung" vertauscht und gleichgesetzt. "Lasst uns nicht länger den Männern Schuld an der Situation geben, sondern selbst Verantwortung für unsere Körper übernehmen!" Ich meine WHAT THE ACTUAL FUCK?! Ich fordere verdammt noch mal von allen Menschen, ihre Privilegien zu reflektieren. Ja, ich bitte Männer* nicht darum, ich fordere von ihnen sich selbst zu überprüfen. Wie sie sich im öffentlichen Raum verhalten, ob sie (Körper-)Grenzen überschreiten. Und sogar noch viel mehr! Wie ich mit mir selbst und meinem Körper umgehe, ist meine Sache. Klarkommen muss ich mit Normierungen, Harassment und Übergriffen so oder so. Wie ich das am besten machen soll, wird mir ja auch erst mein ganzes Leben lang gesagt, dankeschön für gar nix. Ich fordere eine Gesellschaft, in der ich mich nicht wehren muss. In der nicht die Betroffene darüber nachdenkt, was sie zu tun und zu lassen hat, sondern die übergriffige Person. Frauen* sind kein defizitäres Geschlecht. Da wirkt es noch höhnischer, dass eine Frau in einer "Comedy"-Nummer auf der Bühne "uns" aufrief "sich selbst mehr zu lieben und anzufassen [haha, witziiiiiiig] und auch mal den Nachbarn oder die Nachbarin anzufassen." Das machte mich sprachlos. Wir reden über Gewalt und wir lassen alle Debatten über Grenzen und Konsens komplett außen vor? Was ist das für ein Gewaltbegriff?
Abschließend
Achso ja. Ein Awareness-Team wäre fantastisch gewesen. Dann hätte ich mich vielleicht mit dem Abtreibungsgegner, der mich aufdringlich auf mein Plakat ansprach, als ich mal kurz die Gruppe verlassen habe, nicht ganz so hilflos und alleine gefühlt. ("Bist du für Abtreibung? Das Baby ist nicht dein Körper! Das darfst du nicht, das ist Mord!") Denn bei aller Fröhlichkeit und Tanzerei, dass nicht alles glatt läuft und tuttifrutti ist, damit muss gerechnet werden.
Jetzt mache ich mir einen Tee. Und hoffe, dass im Gegensatz zu der Krtik im Vorhinein auf die Kritik im Nachhinein reagiert wird. Dass es im nächsten Jahr eine Aktion gibt, die Frauen* in ihrer Diversität begreift und wirklich empowernd ist. Dass wir wütend sein können, tanzen können, wütend tanzen und ganz still sein können. Und dass allen zugehört und Raum gegeben wird. Anders habe ich keine Lust mehr auf große und kommerzielle Aktionen.
Zum Weiterlesen: