Also das hier ist vegan und feministisch. Weil sonst alles scheiße ist.

Dienstag, 25. September 2012

#MMwird5: juhuhu! - - - wtf?!

Dieser Text wird eine Reflektion über den vergangenen Samstag, an dem ich u.A. zusammen mit der Faserpiratin nach Berlin gefahren bin, um mit der Mädchenmannschaft und vielen anderen ihr fünfjähriges Bestehen zu feiern. Im Vorfeld haben wir uns alle sehr darauf gefreut und alles zusammengenommen war es ein tolles Wochenende, jedoch bin ich selbst immer noch etwas angeschlagen. Im allerletzten Podium des Tages ist es zu einem massiven Rassismusfail gekommen, der sich schon während der Diskussion abzeichnete. Viel mehr als der Fail ist der Umgang des MM-Teams darauf Grund für meine Angeschlagenheit. (Wie Faserpiratin schon sagte: ich möchte den Vorfall hier selbst weder beschreiben, noch kommentieren. Das war indiskutabel, der "Inhalt" irrelevant und ich möchte das nicht reproduzieren. Wer mehr darüber lesen will: unten habe ich Texte dazu verlinkt.) Fakt ist: Mehrere PoC haben den Raum verlassen. Zu Recht.

Aber eins nach dem anderen. Ich habe versucht, Fragen, Unsicherheiten und Probleme zu sammeln und werde das einfach mal zusammenhangslos runterrasseln:


  • Erster Irritationsmoment schon nach dem Blick ins Programmheft: Wieso finden vor der Begrüßung schon Workshops statt? (Dadurch war zB der Zine-Workshop mit Franziska einfach mal eine Stunde früher beendet, weil natürlich alle die Begrüßung mitbekommen wollten und das fand ich sehr schade.)
  • Die Begrüßung war nett und schön, aber was fehlte:
  1. kritische Anmerkungen zur Diskussionskultur und dem Umgang miteinander. Nur im Programmheft wird aufgerufen, bei *istischer Kackscheiße Krawall zu machen. 
  2. Wieso wurde das nicht noch mal betont? Oder geklärt, WAS genau nicht okay ist und WIE man Krawall machen/eingreifen soll?
  3. Wieso gab es keine abgesprochenen Kommunikationsstrategien um bei *istischer Kackscheiße zu intervenieren? (Rote Karten, Trillerpfeifen, Kackscheiße-Schilder, Handbewegung...) So lässt sich in/mit der Gruppe Kackschieße stoppen.
  4. Wieso wurden keine Konsequenzen für evtl. Verantwortliche genannt? (Raum/Lokalität verlassen)
  5. Wieso wurde keine konkrete Anlaufstelle für Betroffene geschaffen? (Das MM-Team hatte alle Hände voll zu tun, ein kleines Awareness-Team pro Raum wäre toll gewesen.)
  6. Kurze Vorstellung des Programms, Zusammenfassung der Anwesenden Organisationen
  • Ich hatte den Eindruck, dass die MM sich vorher nicht/kaum abgesprochen hatte, was im Fall von Kackscheiße zu tun sei. Als die Scheiße dann tatsächlich da war, waren die beiden (?) Anwesenden der MM unsicher, wie sie mit der Situation umgehen sollten, haben zu lange gewartet, durch den Abbruch die Sache im Raum stehen lassen und so alles andere als Solidarität mit Betroffenen gezeigt.
  • Ja, ich muss mir auch selbst an die Nase packen. Wie die meisten anderen im Raum habe ich die Augen verdreht, halblaut geflucht und während des Fails stand ich ungläubig mit der Hand vorm Mund und aufgerissenen Augen im Raum und bin zu spät laut und deutlich geworden. Da war eine PoC schon gegangen, eine weitere war gerade dabei das zu tun. ABER: Ich gehöre nicht zu den VeranstalterInnen, die mMn, mehr noch als jede Privatperson verantwortlich dafür sind, sichere Räume zu schaffen und zur Not auch vom Hausrecht Gebrauch machen können.
  • PoC haben den Raum verlassen, wieso musste das nicht die Person tun, die Rassismus reproduziert hat? Die Person hatte offensichtlich wenig Ahnung von rassistischen Strukturen, trotzdem war ihr klar, dass ihre Frage vermutlich "irgendwie nicht so okay" sein wird. (Durch ihr Nuscheln und Rechtfertigen bevor sie die Frage stellte, mutmaße ich das jetzt mal.)
  • Der SW war ein akutes Thema, welches Raum und kritische Untersuchung verdient hat. Der Rahmen war jedoch sehr fragwürdig - eine Vertreterin, die erst seit ein paar Wochen dabei ist? Die Diskussion verlief sehr schnell genau so unfruchtbar, wie sie es schon online und vor dem SW war - ein Statement pro Seite hätten ausgereicht, danach hat sich eh alles im Kreis gedreht und die SW-Vertreterin, sowie zwei Beteiligte im Publikum machten schnell deutlich, dass sie die Kritik daran nicht hör(t)en wollen. ("Ihr redet ja nicht mit uns", "eure Kritik ist nicht konstruktiv" - bla bla, das stimmt alles nicht und was war auch allen Anwesenden klar.) 
  • Wieso dem Raum geben, wieso PoC damit belasten? Ohne SW-Vertreterin hätte vermutlich viel kontruktiver über das Thema diskutiert werden können. (Mögliche Alternativnamen, Alternativkonzepte, Weiterentwicklung vom Original oder dem, was daraus gemacht wurde, Ausschlüsse analysieren und vorbeugende Maßnahmen finden...) So glich die Aktion eher einer Talkrunde bei "hart aber fair" - mit vergleichbar niedrigem Niveau.
  • Die beiden anderen Vertreterinnen, die für hollaback und bühnenwatch da waren, haben tolle Projekte, deren Vorstellung durch die Diskussion um den SW viel zu kurz kamen.
  • Wieso ist Rassismus das schwierigste Thema von allen? Es gibt FLT-Räume und Sexismus, Cis- & Hetersosexismus wären mit ziemlicher Sicherheit sehr schnell sanktioniert worden. Warum dürfen Leute aber über einen längeren Zeitraum latent rassistische Sachen von sich geben, so lange, bis es komplett knallt?
  • Wieso überschnitten sich zwei der nur drei FLT*-Veranstaltungen?
  • Die MM ist ein Online-Projekt. Viele BesucherInnen twittern und/oder bloggen, eine Anregung für Namens- oder Avatarbilder für alle, die Lust darauf hätten, wäre toll gewesen. Immerhin gab es genügend Bastelworkshops und sogar eine Buttonmaschine.
  • Der Vorraum oben war leider nicht ideal. Das ist aber für mich das kleinste Problem, da ich mir sehr gut vorstellen kann, wie schwierig es ist, eine Lokalität zu finden, die den Ansprüchen an Größe, Lage, Barrierefreiheit etc. entspricht.
  • Nach allem, was ich mitbekommen habe kann die MM nix dafür und es gab genug Stress mit den Leuten vom Haus, aber das (vegane) Essen war übertrieben lieblos.
Natürlich haben mir auch Sachen gefallen:
  • Der Zine-Workshop mit Franziska war toll! Ich habe mich vorgestellt mit dem Satz, dass ich total unkreativ und unbegabt sei und bin jetzt doch sehr zufrieden mit meinem technisch eher unbedarften und nicht fertiggestellten Whitedudessatire-Zine! Außerdem hat sie eine angenehme Atmosphäre geschaffen und eine tolle Balance gefunden zwischen "Du darfst alles machen, was du willst" und entsprechenden Tipps, was man denn so alles machen kann. Ich hab Lust jetzt weiterzumachen!
  • Ich habe Leute kennen gelernt! Über Twitter haben wir uns lose mit verschiedenen Menschen verabredet und ich hatte mir vorgenommen alle, die ich irgendwie (er)kenne anzusprechen. Das hat mal mehr, mal weniger gut geklappt und darf gerne vertieft werden, aber immerhin bei einigen war es ein Anfang!
  • Der hollaback at home - Workshop war interressant und lehrreich. gleichzeitg ernüchternd und ermutigend.
  • Die Musikerinnen haben mir gut gefallen und ich hab sogar eine CD gekauft, die auf der Rückfahrt lief und ich bin ganz verliebt in die Texte.
  • Ich habe den spontanen Programmierworkshop zwar nicht besucht, abes ich finds toll, dass der stattfinden konnte!
  • Bemühungen für Barrierefreiheit und Kinderbetruung waren nach dem, was ich mitbekommen habe gelungen. Dass es überhaupt veganes Essen gab, finde ich toll und zumindest der Kuchen war echt lecker.
  • Noah Sow hat ihren Auftritt als Hauptact abgesagt und mit anderen PoC ein Panel geformt um sich noch mal zu äußern. Das finde ich krass, ich hätte es erwartet und ihr auch nicht im geringsten übel genommen, wäre sie einfach gegangen. Schön, dass so am Abend wenigstens PoC das letzte Wort hatten. (Aber das ist wirklich nur ein sehr kleiner Trost.)

Was bleibt: Ich habe immer noch nicht alles ganz sacken lassen, obwohl wir schon viel diskutiert haben. Bin immer noch nicht ganz fertig, veröffentliche jedoch, obwohl mir bestimmt noch viel einfällt. Gelernt habe ich auf alle Fälle einiges. Ich ärgere mich immer noch über mich selbst, merke wie dringend notwendig ich einen Interventionsworkshop brauche, wie wichtig es ist, keine Angst mehr vor "all eyes on me" zu haben, Den Mund auf zu machen, wenn ich das Bedürfnis habe, mich in mein Schneckenhaus zu verziehen, auf Unsicherheiten zu scheißen und mich solidarisch hinter (!) die Leute zu stellen, denen der Raum genommen wird. Viel wichtiger: mit dafür zu sorgen, dass ihnen der Raum nicht mehr genommen wird. Ich mache das jetzt schon, wenn ich Betroffene und/oder Reproduzierende kenne, weil ich das Privileg habe, mich zumindest dann sicher fühlen zu können. Aber ich muss mich das auch trauen, wenn das Setting neu und ungewohnt für mich ist und ich die Beteiligten nicht kenne. 
Es bleibt das Wissen darüber, dass dies mal wieder nur die Spitze des Eisbergs war, dass der gesamtgesellschaftliche strukturelle und alltägliche Rassismus für mich unvorstellbare Außmaße haben muss und der Schock darüber, dass dieses Wissen auch in emanzipatorischen Räumen nicht selbstverständlich ist. Es macht sich in mir eine Ohnmacht breit, die ich selbst beseitigen muss, sie macht Menschen unfähig zu handeln und das nährt rassistische Strukturen jeden Tag und überall.

Es haben die falschen Menschen den Raum verlassen. Dass es so weit kommt, ist eigentlich schon ein Statement, mindestens aber eine Bestandsaufnahme, die alle Weißen sehr selbstkritisch stimmen sollte. 
Die Anstrengung ist nicht sichtbar, sagte Noah Sow am selben Abend noch und sie hat Recht. Check your privileges and do some Critical Whiteness. Und verlasst dazu auch mal die Theorie, den Schreibtisch und die Filterbubble. Because you can.


Weitere Texte:
accalmie - you walk alone (hier auf Deutsch) (ich betone: ausgesprochen !!! lesenswert)
Kotzendes Einhorn - die Mädchemannschaft wird 5 Jahre alt


Anmerkungen:
- SW meint "Slutwalk" - eine internationaleBewegung gegen Vergewaltigungsmythen, der jedoch berechtigterweise schon viel Kritik entgegengebracht wurde.
- PoC meint People of Color, eine selbstgewählte Bezeichnung für Menschen, die nicht weiß sind, bzw. keine weißen Privilegien haben.

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