Wintersemester 2011, Einführungsveranstaltung Sozialethnologie. Thema: Die Rolle von Geschlecht für die Ordnung der Gesellschaft. Beispiel Menstruation. Der Dozent erzählt von der Gesellschaft A im Land Y. Menstruation speilt bei den As eine entscheidende Rolle bezüglich des Wohnortes der Frauen und der Arbeitsaufteilung innerhalb der Gemeinde. Menstruierende Frauen gelten als unrein und schmutzig und müssen vom Rest des Dorfes getrennt werden. Hierzu wurden eigene Häuser erbaut, in der die Frauen an "den Tagen" leben. Kontakt zu Außenstehenden ist untersagt, gearbeitet werden darf auch nicht, Körperkontakt ist ebenfalls verboten. Für alles andere gelten ebenfalls spezielle Reinigungsregeln.
Durch den Raum geht ein Kichern. Man ist irritiert und empört. Das ist ja total krass! Ganz schön rückständig is man in Y. Sehr frauenfeindlich, das kann man doch nicht machen.
Ja, ganz Recht. Das hier ist eine Menstruationsgeschichte.
Siebte Klasse. "Herr FGH, ich habe echt Bauchschmerzen und so, ich habe meine Periode...." "Oh! Äh jajajajaja, also mhhh... Jaaaaaaaaa. Frauenprobleme... Dann brauchst du auch nicht am Unterricht teilnehmen, denke ich. Oder? Also wenn es dir wirklich nicht so gut geht, dann geh ruhig nach Hause." (So haben wir sie immer gekriegt.)
Montags war Schulschwimmtag. Wer am Montag nicht in der Schule war, oder vorzeitig nach Hause ging, stand unter Periodengeneralverdacht! Einmal ist eine unbeliebte Schülerin früher heimgegangen. Eine von uns hat angeblich einen roten Fleck auf ihrem Stuhl gesehen. Ha! Erwischt!
Irgendwann mit 15. Die Familie sitzt im Wohnzimmer. Freund ist auch da. Es läuft irgendwas im TV. Irgendwas wird von irgendeiner Werbung unterbrochen. Ein Spot für Tampons. Eine schöne, schlanke, blonde Frau sitzt in einem weißen Kleid fröhlich auf einem Pferd, schlägt lächelnd im weißen Kleid die Rückhand in einem Tennisspiel, geht im weißen Einteiler ins Freiband und steigt abends im weißen Negligée zu ihrem (?) Mann ins Bett. Zwischendurch tropft irgendwer blaue Flüssigkeit auf ein Tampon und schließt die Hand darum zusammen. Halleluja, saugstark und undurchlässig! So merkt niemand was! Inzwischenzeit diskutieren die anwesenden Männer humoristisch über die Notwendigkeit eines Geräts, mit dem man unliebsame Werbung blocken könnte. Sowas will man doch nicht sehen!!!! Immer diese Tampons, Binden, Slipeinlagen im TV. Periode, bah!
Irgendwann mit 17. Freund erzählt vom Typen aus seiner Berufsschulklasse. Der hat mit seiner Freundin auch Sex, wenn sie ihre Tage hat. Dass er es geil findet, sagt er nicht. Aber es stört ihn nicht. "Hinterher sieht das Laken dann aus wie ein Schlachtfeld. Da musst du das bett eben neu neziehen und das wars." erzählt er trocken. Da ist das Gschrei aber groß. Da wird sich das Gesicht verzogen, "Nein, nein, nein" gerufen, die Hände vor die Augen gehalten. "Erzähl doch nicht sowas ekelhaftes!"
Sommer 2012. WG-Party. Anwesende: mehrheitlich Medizinstudent_innen. Wir unterhalten uns auf dem Balkon zu dritt über unseren Umgang mit Menstruationsbeschwerden. Teetrinken, Wärmflasche, Schmerzmittel, Homöopathie, Sex, Selbstbefriedigung & Schokolade. Wir sind auch ein bisschen wütend und genervt, dass wir uns überhaupt mit sowas auseinandersetzen müssen. Zwei Medizinstudenten kommen heraus, hören zu, schütteln den Kopf. "Also ich hab ja echt kein Problem damit, an Leichen herumzuschneiden. Ich meine, wenn der Darm platzt, oder der Magen, das ist schon manchmal echt eklig. Aber wenn meine Freundin ihre Tage hat, das finde ich so richtig widerlich! Echt jetzt mal, stimmt doch! So Blut aus der Muschi, voll abartig! Oder? Oder?!?!"
(Triggerwarnung für den folgenden Abschnitt: Beschreibung von diversen potentiell gewalltvollen Sexualpraktiken)
Meanwhile: Me, doing Porno-Recherche. Es ist eigentlich immer das selbe: Männer ficken, Frauen werden gefickt, lautes Stöhnen, Schubsen - Ziehen - Zerren - Drücken - Festhalten, auf den Arsch hauen, Beleidigen, Zooom-In in die Vagina, Schwanz rein und wieder raus und wier rein und wieder raus, Dreh dich um! Mach das Bein hoch!, Blowjob bis zum Würgereiz und Tränendrüsenreflex mit den Händen eines Typen am Hals, Löcher dehnen und füllen, bla bla bla. Und zum Schluss immer die gleiche Szene: Cumshot. Nach grandiosem Herumgebumse spritzt der Mann (oder die Männer) sein/ihr Sperma ins Gesicht der Frau(en). Und die freuen sich so sehr! Herrje, so viel weißer Glibber im Gesicht, das ist ja der Hammer! Da wird schon mal begeistert der Rest vom Boden aufgeleckt. Auf allen Vieren, der Rücken durchgedrückt, Popo in die Höhe. Oder aus dem Nasenloch der anderen Darstellerin geschlabbert. Manchmal gibts auch keinen Cumshot. Da kommen dann drei Typen hinterenander beim Analsex in den Hintern ihrer Kollegin. Die drückt dann alles schön raus, auf das Gesicht einer anderen Darstellerin. Begeistertes Klatschen, für jeden Tropfen Sperma, für jedes Zusammenziehen der Rosettenmuskulatur. Und auch die zweite Frau freut sich richtig, findets geil und verzehrt sich nach dem Arschsperma. Wenn alles raus ist, lecken sie sich noch gegenseitig das Gesicht hab. Und das Stöhnen nicht vergessen!
Um Kommentaren vorzubeugen, ich sei nur eine untervögelte, frustrierte, spaßbefreite Feministin: Ich sage nicht, dass ich das alle grundsätzlich schlecht und erniedrigend finde. Ich finde, alle sollen tun, woran sie Spaß haben und womit sie sich wohlfühlen. Das gilt für alle Beteiligten. Das kann das potentiell alles und auch gar nichts sein. Niemand muss alles geil oder alles scheiße finden. Es gibt zu viele Tabus, die uns guten Sex versauen. Die Abwertung des weiblichen Körpers während dieser blutet, ist eines dieser Tabus. Da wird nicht hinterfragt, da wird nur kategorisch ausgeschlossen.
Das hier ist eine Gegenüberstellung von Bewertung und Stellung männlicher* und weiblicher* Körperflüssigkeiten. Es darf gerne hintefragt werden, warum wer woran Spaß oder eben keinen Spaß hat. Wer sagt, was normal, was geil und was eklig ist? Diese Zuschreibungen können sehr machtvoll sein, dazu führen, seinen eigenen Körper abzulehnen, ihn zu hassen und sich vor ihm zu ekeln.
Klar kenne ich Menschen, die nicht so sehr auf Sperma abfahren, wie die Damen im oben beschriebenen Beispiel es (dem Anschein nach) tun. (Ehrlich gesagt sind das die meisten.) Viele wollen das nicht so gerne im Mund oder im Gesicht haben. Immerhn ist das ja auch eine ziemlich klebrige Glibbermasse, das reicht in der Regel nicht aus, um mich in freudige Ekstase zu versetzen. Auch wenn der Umstand als solcher - höchste Erreung meines Partners - das durchaus zu tun vermag.
Natürlich wird Sperma nicht von allen abgefeiert, aber immerhin unterliegt es keinem Stigma. Spermaflecken sind vielleicht etwas unreif aber lustig und quasi salonfähig. Hollywoodfilme z.B. strotzen nur so vor Spermawitzen. In "Verrückt nach Mary" schmiert sich Cameron Diaz Sperma in die Haare, weil sie denkt, es sei Haargel. Der Typ, von dem sie es hat, hat sich vorher einen runtergeholt und es sich ungeschickterweise ans Ohr gespritzt. Das ist ok. Das ist lustig. Sperma ist halt da. Das kommt halt raus. Aber wehe, du gehst mit einem roten Fleck in der Sporthose zum Turnunterricht. Wehe, du sprichst an, dass du gerade blutest! Eine Doppelmoral, die bis zum Himmel stinkt.
Was ich allerdings nicht kenne, sind Menschen, die, wenn das Gespräch auf Sperma kommt, erschrocken aufschreien und/oder angewidert das Gesicht verziehen. Ich kenne auch keine TV- oder Printwerbung für Mittel, die den Spermageschmack oder die -optik verbessern. Oder Werbung, die Männern einredet, diskret sein zu müssen, um ihnen so extra gute Spermawegwischtücher zu verkaufen. Die jedes Jahr noch diskreter, saugstärker und gründlicher werden. (Nicht, dass ich das wünschenswert finde. Ich möchte nicht mehr Scham, sondern weniger.)
Ekelhaft, peinlich und schmutzig - das sind so Wörter, die fallen nicht nur bei den As in Y. Die fallen auch hier. Jeden Tag. Seit ich denken kann. Sogar schon viel länger. Auch wenn die Männer meistens am lautesten schreien, Frauen haben das ebenfalls verinnerlicht. Fiese Gemeinheiten wachsen sich vielleicht mit dem Alter raus. Aber die Scham bleibt da. Das Gefühl, selbst dreckig zu sein. Die Sorge "ertappt" zu werden. Aus dieser Sorge heraus nicht zum Sport zu gehen. Sich in der Schule lieber nen Saugpfropf aus steinhartem Toilettenpapier zu basteln, weil es zu unangenehm ist, die Freundin zu fragen, ob sie ein Tampon hat, auf guten Sex verzichten, weil es doch ganz klar ist, dass man während der Periode gar keinen Sex haben kann, nicht offen zu sprechen, weil man keine Lust auf PMS-Witze im Büro hat, aus Scham keine Fragen zu stellen, obwohl man sich unsicher wegen etwas ist, etwas lustiges, was mit der Menstruation zu tun hat nicht zu erzählen, weil man nicht in geschockte Gesichter blicken möchte, in der Drogerie einen Vorrat an Zahnpasta, Seife und Duschgel kaufen, weil nur die Binden allein auf dem Band dir direkt "Blutet!!!" auf die Stirn tätowieren. Den Körper hassen, ihn abstoßend finden. Das ist alles noch da. Und wir schreiben das Jahr 2012.
Das war Periode 1. Periode 2 ist schon fertig geschrieben und folgt nächste Woche.
(Disclaimer: Ja, ich habe hier fast nur Negativbeispiele aufgeführt. Es gibt natürlich auch Positivbeispiele. Diese reichen aber immer noch nicht aus, um menstruierende Menschen von ihrere Scham zu befreien. Die Scham und die Vorstellung der "Unreinheit" sind immer noch tief in unserer Gesellschaft verankert.)