Ich bin nicht gerade ein Fan von Klischees, Stereotypen und Vorurteilen. Blöderweise werden einiger allerdings immer wieder bestätigt. Zum Beispiel, wenn man durch die Uni läuft und versucht Oufits Studienfächern zuzuordnen. Woran das liegt, darüber lässt sich wohl streiten, aber eigentlich ist das das spannendeste an der Sache. Grundsätzlich versuche ich immer, all mein angebliches Vorwissen bei Seite zu schieben wenn ich Menschen kennen lerne, die man in irgendeine Schubladen einordnen könnte. Ich glaube auch, dass das ganz gut klappt, allerdings habe ich noch nie so richtig darüber nachgedacht in welche Schubladen ich so gesteckt werde. Neben "Studentin von Geisteswisschenschaften" wäre die etwas markantere wohl "Veganerin". Und wenn ich dann mal so schaue, in diese Schublade passe ich im Grund ohne anzuecken.
- 70% der vegetarisch/vegan lebenden Menschen sind weiblich — Check
- Fast die Hälfte lebt in einer Großstadt — Check
- Das Durchschnittseintrittsalter für "moralische Vegetarier/Veganer_innen" liegt bei 21 Jahren. Ich liege ein Jahr drüber, was ziemlich nah am Durchschnitt ist, also — Check
- Das aktuelle durchschnittliche Alter liegt dafür bei 30 Jahren — Fail
- Der Großteil vegetarisch/vegan lebender Menschen studiert oder hat studiert — Check
- Über die Hälft besitzt keine Religionszugehörigkeit — ich bin zwar evangelisch getauft, konfirmiert und noch nicht aus der Kirche ausgetreten, aber ich bin nicht gläubig. Also verbuche ich das auch als zutreffend. Check
- Der Hauptbeweggrund die eigenen moralischen Grundpfeiler bezüglich Tieren und deren Konsum zu hinterfragen war/ist die Massentierhaltung, bzw. die Zustände darin und die Notwendigkeit des Tötens für den Fleischkonsum — Check
Quelle für diese Angaben ist die Vegetarierstudie der Uni Jena
Viele andere Vegetarier/Veganer_innen, die ich kenne, entsprechen den Angaben auch zum größten Teil. Interessanterweise kenne ich verhältnismäßig viele vegane Männer, dafür, dass das Verhältnis 70 zu 30 sein soll. Trotzdem treffen auf die meisten die ich kenne mindestens vier der sieben Punkte zu. Irgendwie könnte man meinen, die Gruppe wäre total homogen, aber die Menschen die ich kenne, sind so unterschiedlich, haben teilweise kaum etwas gemeinsam, abgesehen davon, dass sie vegan leben und vielleicht eine gewisse linksorientierte politische Grundüberzeugung haben. Übrigens wundert es mich, dass die Studie Bezug zu Religion, nicht aber zu politischen Parteien hergestellt hat.
Trotzdem ist das Ergebnis interessant. Wo liegen die Gründe für den hohen Frauenanteil? Was hat das alles mit Schul- und Hochschulbildung zu tun? Warum tut sich gerade im Alter von Anfang 20 so viel? Wieso gibt es unter vegetarisch/vegan lebende Menschen so wenig Bindung zur Religion?
Ich persönlich glaube, dass das alte Denken "Fleisch macht stark" noch weit verbreitet ist. (Da braucht man sich nur die
Beef! anzusehen...) Und in unsere Gesellschaft ist körperliche Stärke bei Männern eben immer noch wichtiger als bei Frauen. Männer sind die alten Jäger, die symbolisieren müssen, dass sie eine Familie versorgen können. Das ist natürlich völliger Quatsch, aber aus diesen Strukturen auszubrechen ist alles andere als einfach. Männern wird neben der (zum Töten) notwendigen Stärke auch allgemein ein höheres Gewaltpotenzial zugesprochen, Frauen sind meist friedliebend und Opfer, wohingegen Männer die Aktiven und/oder die Täter sind. Das ist ein heikles Thema und es gibt natürlich unzählige Gegenbeispiele aus der Geschichte und auch in aktuellen Gesellschaften, inklusive unserer eigenen. Trotzdem erzählt meine Mutter heute noch, dass es bei ihnen früher selten Fleisch gab, wenn, dann war ihr Vater zuerst an der Reihe, danach ihr acht Jahre jüngerer Bruder. Was die Männer übrig ließen (meistens war das gar nichts, manchmal aber dann doch ein wenig) durften die Frauen unter sich aufteilen. Die Männer mussten eben arbeiten gehen, oder stark werden, damit sie dann später als Erwachsener arbeiten gehen konnten. Frauen brauchten nicht so viel Fleisch, weil sie nicht arbeiten gehen brauchten/sollten. Da könnte man denken, dass Fleisch vielleicht von Frauen besonders hoch geschätzt wird, weil es so eine glorifizierte Seltenheit war. Das scheint aber nicht passiert zu sein, ich vermute daher, dass stattdessen Frauen Fleisch doch einfach nicht so bedeutend finden, vielleicht, weil ihnen nie suggeriert wurde, wie wichtig es für sie sei. Männer sorgen sich scheinbar stattdessen eher um ihr Privileg als starker Kerl. Das sind zumindest meine Vermutungen.
Das Großstadtleben bietet natürlich einige Vorteile. Hier gibt es viel mehr Möglichkeiten einen "alternativen" Lebensstil zu pflegen, viele Zugezogene stehen weniger stark unter dem Einfluss ihrer Eltern, Großeltern, Freunde und so weiter. Pluralität und Diversität hab mehr Raum und wird weniger belächelt und/oder gemobbt. Heute ist man zwar auch in ländlichen Regionen mit einem Internetanschluss bestens an das Weltgeschehen angeknüpft, aber in Großstädten wird man auch im Alltag viel häufiger, viel offener und offensiver mit kritischen Themen konfrontiert. Dazu trägt auch nicht zuletzt die Uni bei. Die besten Ergebnisse bei Uni-Wahlen (zumindest an den Unis, die ich kenne) bekommen linke und grüne Parteien, die Uni ist einer von von vielen zentralen Orten für Organisation und Mobilisierung von Streiks, Protesten und Aufklärungs-Aktionen aller Art. Informationen für sämtliche Themen gibt es en masse. Im Idealfall werden Jugendliche an der Uni zu kritischen Menschen, die auf der einen Seite viel Lesen aber auf der anderen Seite auch nicht immer alles glauben. Das alles ist selbstverständlich nicht notwendig um vegan zu werden, begünstigt einen möglichen "Wandel" aber auf jeden Fall. So erlebe ich immerhin den Unterschied von Köln zu meinem "alten" Leben in der Kleinstadt.
Dass sich wenige Vegetarier/Veganer_innen in einer Religion verorten überrascht mich insofern eher weniger, da ich vermute, dass das auf einen Großteil der ganz allgemeinen durchschnittlichen Bevölkerung in Deutschland zutrifft. Glaube im traditionellen Sinn treffe ich beinahe ausschließlich bei Menschen über 60 an. Die meisten anderen interessieren sich grundsätzlich nicht für Religion und/oder sind extrem kirchen- und religionsverdrossen. Mal ganz davon abgesehen, dass traditionelle Kirchen grundsätzlich eben an ihren Traditionen festhalten und sich bei Entwicklungsprozessen nicht gerade beeilien.
Schön, dass ich auch ein paar Beispiele kenne, die so gar nicht in das Schema passen, wie zum Beispiel mein Vater. Ein Mann über 40, lebt in einer Kleinstadt und hat lieber eine Ausbildung statt Abitur gemacht. "Trotzdem" ist er klug und mitfühlend und das ist auch an keine der oben genannten Kriterien verknüpft. Manchmal kommt es vielleicht auf die äußeren Umstände an, diese können triggernd oder hemmend wirken. Aber letztendlich kann heute in unserer Gesellschaft fast jede_r an bestimmte Informationen kommen und sich für den Veganismus entscheiden. Wenn ich mir meinen eigenen "Weg" ansehe, glaube ich, dass ich vermutlich immer Veganerin geworden wäre, egal wie mein Leben verlaufen wäre. Die ersten Anzeichen waren recht früh, ich habe eine Entscheidung nur aus Angst und Unsicherheit hinausgezögert. Und genau das beobachte ich bei vielen Menschen um mich herum, wie oft höre ich "Ja hm, irgendwie, also ja das stimmt schon, so gesehen, hm hm... ABER..." Viele Menschen sind verunsichert, wissen nicht genug um das Thema beurteilen oder selbstbewusst Stellung beziehen zu können, spüren aber, dass da etwas im Argen liegt. In den Medien wird währenddessen von der neuen "weiblichen und intellektuellen Elite" gesprochen, die das Veganertum anzuführen scheint, da dreht sich mir direkt der Mageninhalt um. Wenn das nur oft genug wiederholt wird, ist ein neues Klischee erschaffen und man braucht sich nicht weiter wundern, wenn die Menschen, die diesen Kriterien nicht entsprechen (und das sind eine ganze Menge), sich von dem Thema distanzieren und Veganer_innen für abgehobene und weltfremde Spinner halten.