Das Buch war für mich ein einziger Widerspruch. Irritierenderweise weiß ich selbst nicht, ob das jetzt positiv oder negativ gemeint ist. Selten habe ich es erlebt, dass ein Buch zum Ende hin immer besser wurde. Wie häufig habe ich während des Lesens kritisch eine Augenbraue hochgezogen, kurz innegahelten um nachzudenken, laut widersprochen, mich gefragt, woher die das jetzt bitte hat, lachend Zustimmung erteilt, mich erleichtert und bestätigt gefühlt. Letzteres trifft vor allem auf den Teil "Traurige Streber" zu, in dem Meredith Haaf erläutert, wie sich ein Streitgespräch mit Freunden und Familie anfühlt. Enttäuschend auf der einen Seite, wenn nahestehende Personen einen so anderen Standpunkt haben und berauschend auf der anderen Seite, beflügelt von einem intellektuellen Austausch (vorausgesetzt, die Diskussion findet unter Umständen statt, die ohne Polemik, Hohn und Überheblichkeit auskommt). An eben dieser Stelle hatte ich das Bedürfnis laut "Verdammte Scheiße, aber JA!" zu rufen. Wie oft habe ich mich, schätzungsweise seitdem ich 13 Jahre alt bin gewundert, warum außer mir bestimmte Dinge sonst niemand beschissen findet. Warum alle mit den Achseln zucken. Wer hat noch nie "Naja, das ist eben so." gehört? Das macht mich wütend. Gleichzeitig hatte/habe ich fortwährend die Hoffnung, dass alle Beteiligten durch das Gespräch vielleicht doch etwas nachdenklich geworden sind und etwas voneinandergelernt haben.
Zustimmung gebe ich auch für mehr Ablehung. An Hand des Facebook-"I like"-Buttons erläutert Meredith Haaf, was sie an dieser kritiklosen Haltung stört, die sich überall breit macht. Im Endeffekt ist es das gleiche wie oben: "Warum sagt keiner was und wieso soll man sich alles gefallen lassen?!" Aus Flexibilität wird Angepasstheit und Duckmäusertum. Wieso? Weil man es sich nicht (mehr) anders erlauben kann.
Außerdem kommen Veganer und Vegetarier ganz gut weg. Ich weiß nicht, ob sie sich selbst dazu zählt, wäre natürlich umso toller. Aber immerhin schreibt sie zum Beispiel, dass es in unserer Generation keine große Gegenkultur gibt, außer vielleicht in der queeren, veganen oder linksautonomen Szene. Nur seien die eben nicht besonders groß, beziehungsweise präsent.
Was mich stört an diesem Buch ist die Zielgruppe. Wer ist das überhaupt? Wer ist diese "meine Generation"? Am Anfang geht Haaf kurz darauf ein, wobei die Betonung hier auf kurz liegt und mich mehr irritiert hat als dass sie mir ein Grundverständnis vermittelt hätte. Ihre Generation sind die Leute, welche heute zwischen 20 und 30 Jahre alt sind. So grob. In den Achtzigern geboren. Wahlweise auch mit Attributen spezifizierbar. Generation Praktikum, Porno, Konsum, Online. Bei genauerem Lesen entpuppt sich das jedoch als ein viel zu weiter Begriff. Sie selbst benutzt wörtlich Begriffe wie "priviligiertes Bildungsbürgertum" und damit ist die thematisierte Gruppe wohl treffender beschrieben. Genauer gesagt mit "ambitionierte studierende Mitzwanziger Nachkommen des priviligierten Bildungsbürgertums".
Ich kenne ehrlich gesagt Menschen, die viele der angesprochenen Themen tatsächlich für Luxusprobleme halten, weil sie wirklich noch Existenzängste haben, anstatt sich irgendwie unsicher zu fühlen. Oder, sie den ganzen "Quatsch", über den hier gesprochen wird nicht ein mal annähernd wahrnehmen, weil es schlicht kein Teil ihres Lebens ist. Ich habe viel Kontakt mit Menschen dieser Generation, die mit Uni und all dem Kram so rein gar nichts zu tun haben und deren Probleme auch völlig andere sind. Sind die jetzt auch mitgemeint oder nicht?
Was ich damit sagen will ist, dass die Nachkommen des priviligierten Bildungsbürgertums, die angepassten Streber, die Studenten, die alles für ihre Vita tun, statt ihrem Interesse zu folgen, meiner Meinung nach ein sehr kleiner Teil unserer Bevölkerung ist. Ich selbst entspreche noch so gerade eben dem, was sie als ihre Generation bezeichnet, ich selbst bewege mich zum Teil auch in studentischen Kreisen und auch dort finde ich ihre Beschreibungen auf längt nicht alle zutreffend.
Streckenweise empfinde ich die Kapitel eher als aneinanderreihung von Thesen, die ich gerne belegt/bewiesen/bebildert hätte. So habe ich mir stattdessen häufig gedacht "Nö, das seh ich nicht so und wie kommt die eigentlich darauf?!" Wieso zum Beispiel behauptet sie, dass "kein Mensch heute Teil einer Jugendbewegung sein möchte"? Sicher trifft das auf viele zu, ich kenne jedoch haufenweise Menschen und zwar ganz besonders junge Menschen, die sich selbstverständlich als Teil einer Jugendbewegung verstehen.
Und trotz allem: Ihre Analysen über Kommunikation, Geschlechtergleicheit, Generationenprobleme usw. bleiben meist spannend und stellenweise lustig, wenngleich nicht so bissig, wie der Titel vermuten lässt, aber immerhin sind sie mit anschaulichen Anekdoten gespickt. Pointiert beschreibt sie auch die "großen" Probleme unsere Zeit und was sie mit dieser bestimmtem Generation zu tun haben. Grundsätzlich fühle ich mich recht gut verstanden und teile viele Unsicherheiten dieser Generation. Bin ich eigentlich gut in dem was ich tue? Und wer hat überhaupt das Recht und die Kompetenz das zu beurteilen und welchen Maßstäbe werden angelegt? Bin ich eigentlich faul oder sind meine Möglichkeiten einfach nur beschissen? Vermutlich bin ich eh selbst Schuld, weil ich so perspektivlose Fächer gewählt habe. Ein Königsweg und beruhigende Antworten sind selbstverständlich zu viel verlangt. Wäre ja auch zu einfach.
Zwischendurch frage ich mich allerdings, wen oder was sie denn nun genau anprangert: das "System", welches uns zu dem macht, was sie beschreibt, oder uns Hänger, die dieses Spiel aus Feigheit und Faulheit mitspielen? Wohl eher beides.
Auch wenn ich nicht immer zustimme, so bewegen diese Analysen dennoch etwas in mir. Da fühle ich mich fast ertappt, könnte das die heimliche Intention der Autorin sein? Ist heult doch vielleicht doch ein Appell und keine Zustandsbeschreibung?
Übrigens, Haaf hat auch vor einiger Zeit einen Artikel über den Vegetariergipfel in Berlin, mit Jonathan Safran Foer und Karen Duve geschrieben:
Klick.
heult doch
Über eine Generation und ihre Luxusprobleme
8,95 €
Piper Verlag
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