Bei jedem Veganer ist es ja so, dass er irgendwo die Grenze ziehen muss. Zwangsläufig stellt man sich bei gewissen Dingen sowohl im Allgemeinen als auch im Konkreten die Fragen "Nehme ich das jetzt so genau?", "Was ist mir wichtiger?" oder "Bringt das auch etwas oder ist es nur Prinzipienreiterei? (und ist letzteres etwas schlechtes?)". Das mag bei jedem irgendwie anders ausfallen. Ich habe zuweilen das Gefühl, dass ich in manchen Dingen noch etwas lasch bin. Alles, was nur mich betrifft sehe ich recht streng, sobald aber andere involviert sind, will ich nicht aufdringlich, nervig, kleinlich oder "missionarisch" sein. (Letzteren Begriff habe ich eh hassen gelernt, aber mehr dazu ein anderes Mal.)
Ich lege hier also eine Art Beichte über Ausnahmen ab (und halloooo Religionsvergleich), vor allem, weil ich ehrlich sein möchte. Aber auch, weil ich mir Tipps erhoffe und denke, dass es Anderen Mut macht, die selbst hier und da unsicher sind einfach mal auszupacken, zu fragen und sich nicht allein zu fühlen. Mit ein Grund für die Existenz dieses Blogs ist, dass ich die Stimmung in vegetarischen und veganen Foren sehr unangenehm fand, als müsste jeder "veganer" sein als der andere. Das ist mir hier in meiner sehr lieb gewonnen Blogger-Community noch nicht untergekommen.
Außerdem erzähle ich auch von ein paar Patzern. Allerdings sind mir diese glaube ich nur am Anfang passiert, denn durch eine sehr intensive Informationsphase habe ich gelernt Situationen in Sekundenschnelle zu scannen oder potentielle Handlungen und Möglichkeiten zu überdenken.
Es ist nicht so ganz meine Art das in Stichpunkten zu machen, deswegen gibt es überall eine Erklärung dazu, ich hoffe, ihr lasst euch von der Textmenge nicht abschrecken :)
Die Reihenfolge ist völlig willkürlich, Vollständigkeit ist nicht garantiert.
Patzer:
1. Pfannen putzen: Es war eine schlechte Angewohnheit von mir, wenn ich während der Arbeit nach hinten in die Küche kam die Pfannen mit einem Pizzabrötchen oder Ähnlichem auszuputzen (wie in Kindertagen). Bei meiner Umstellung habe ich wirklich gemerkt, wie automatisch ich das gemacht habe. Sogar in meinen ersten Wochen als Vegetarierin habe ich noch aus Versehen Pfannen "geputzt" in denen auch Fleisch oder Fisch zubereitet wurde. Aber nach wenigen Malen war das von alleine vorbei.
2. Mein Geburtstag: Nach etwa einem Monat konsequentem Veganismus hatte ich Geburtstag. Meine Mitbewohnerinnen waren total süß und haben vegane und richtig leckere Muffins für mich gebacken. Was mir Sorgen bereitete, aber von mir aus schlechtem Gewissen den Beiden gegenüber ignoriert blieb, waren die roten Tupfer obendrauf. Nachdem ich mehrere gegessen hatte, ließ es mich doch nicht locker, ich habe nachgefragt, die Zutaten durchgelesen und es war tatsächlich echtes
Karmin darin.
3. Der zweite Tag: Im Oktober 2010 entschied ich mich vegetarisch zu werden, das hielt etwa zwei Wochen an, ich las weiter und wollte eigentlich mehr. Aber es war doch alles ein bisschen viel, also verblieb ich in einer Schwebe. Zu Hause vegan, auswärts vegetarisch. Mit der Zeit wurde ich immer "veganer" und in der Silvesternacht beschloss ich, es tatsächlich konsequent durchzuziehen. (Mein erster Neujahrsvorsatz seit 10 Jahren. Ich halte da sonst nicht viel von.) An meinem zweiten Tag war ich mit meiner besten Freundin und einem Teil ihrer Familie unterwegs, wir gingen auch etwas zu Mittag essen. Das war mir unangenehm, sowohl vor der Bedienung, als auch vor der Familie von A. (Im Nachhinein völliger Quatsch, ich bin selbst Kellnerin und habe keine Probleme mit "einfachen" Sonderwünschen und die Familie von A. kenne ich schon ewig. Aber die Situation war eben neu.) Überglücklich las ich Spaghetti aglio e olio auf der Speisekarte und der Schrecken saß tief als der Teller kam: Über den Nudeln war fett Parmesan gestreut. Hätte ich wissen müssen, aber ich hatte einfach nicht daran gedacht. Ich habe es gegessen, denn zum einen habe ich es ja nicht ausdrücklich ohne bestellt und zum anderen muss man nicht selbst in der Gastro arbeiten um zu wissen, dass in der Regel solche Gerichte dann im Müll landen und das hätte nun wirklich nichts genutzt.
4. Salatdressing: Auch noch recht zu Beginn. Ich fragte auf der Arbeit, ob im Currydressing eigentlich Joghurt sei, die Antwort war "Nee, das kannst du bedenkenlos essen." Das hat mir gereicht und ich habe es gegesen. Danach (warum eigentlich nicht davor?) habe ich genauer nachgefragt und wir sind bei Honig ausgekommen. "Wie, Honig auch nicht? Hä, wieso nicht?" Das passiert mir total oft und ich verstehe es nicht. Bei Honig fragen mich alle Leute, wieso das auch dazuzählt. Erklärt sich das nicht von selbst? Oder sind Bienen eigentlich durch den Wind umhertreibende Blüten? Theoretisch finde ich Honig nicht das problematischste Thema in der Tierausbeutung und -bereicherung, aber dennoch ist es von Tieren und es gibt diverse Probleme. Also nein, auch keinen Honig.
5. Maske bei Lush: Ich weiß gar nicht genau, wie das passiert ist. Ich habe mich beraten lassen und als ich zu Hause war, habe ich gemerkt, dass ich eine Maske gekauft habe, die erstens überhaupt nicht meinem Hauttyp entspricht und zweitens nicht vegan ist. So etwas ist mir noch nie passiert. Entweder war die Verkäuferin echt gut oder mein Hirn war mal kurz abgeschaltet.
Ausnahmen:
1. Pille: Irgendwo kam das Thema hier schonmal auf, ich gebe das hier nochmal kurz wieder: Ich habe schon viele verschiedene Verhütungsmethoden ausprobiert und herumexperimentiert, so dass ich dazu erst mal nicht mehr die Nerven habe. Es ist eigentlich immer chaotisch geendet. Erstens enthält meine Pille (wie alle in Deutschland, soweit ich weiß) Laktose, zweitens ist sie natürlich mit Tierversuchen verknüpft. Das Implanon ist wohl (von den Inhaltsstoffen her) vegan, deswegen werde ich das irgendwann mal anpeilen, aber vorerst nicht. Grundsätzlich gefällt mir dir Gedanke mich täglich Hormonen auszusetzen sowieso nicht, aber ich sehe zur Zeit keine andere Möglichkeit.
2. Weitere Medikamente: Seitdem ich beschloss vegetarisch und vegan zu werden war ich nicht krank. (Davor eigentlich auch nicht.) Oder zumindest bin ich nicht zum Arzt gegangen. Das mache ich grundsätzlich selten, ich denke ich nehme alle zwei Jahre mal ein Medikament, Schmerzmittel nie. Deswegen könnte ich das verkraften, wenn ich in diesen geringen Mengen und so unregelmäßig ein tierisches, bzw. ein an Tieren getestetes Medikament zu mir nehmen müsste. Und wenn es einmal soweit ist, schaue ich trotzdem nach, ob es eine leidfreie Alternative gäbe. Dabei hilft mir
diese Tabelle, für deren Richtigkeit ich leider keine Garantie geben kann.
Das einzige was häufiger (naja, auch maximal zwei mal im Jahr) vorkommt, ist ein Tätowiertermin. Da haben mir aber Claudis Postings sehr geholfen. (
Klick 1 Klick 2) (Und auch Erbse hat gerade etwas dazu geschrieben:
Klick)
3. Rasierer: Zur Zeit benutze ich einen Gilette Venus. Eigentlich finde ich die Dinger alle bescheuert. Alle sind pastellfarben und haben total beknackte Namen. Allein aus Protest würde ich mir heute statt eines "Ladyshavers" einen "normalen" Rasierer kaufen. (Was immer noch nicht gerade feministisch wäre;) ) Aber jetzt ist das Ding da und die Klingen muss ich nachkaufen. Soweit ich weiß ist im diesem Bereich ALLES an Tieren getestet worden. Also falls jemand (außer wachsen lassen) eine Alternative für mich hat: sehr gerne!
4. WG-Leben und Wochenenden bei meinem Freund: Viele von euch leben ja sicher auch in Wohngemeinschaften irgendeiner Form und wissen daher, dass man nicht alles alleine bestimmt kann. Ich habe es mit mir selbst jetzt so ausgemacht, dass, wenn ich Dinge nachkaufe, sie vegan sind. Zu Hause benutze ich aber trotzdem auch die unveganen Alternativen. (Ich meine jetzt nicht Essen, sondern Dinge wie Spüli, Putzmittel, Seife usw.) Ich finde das irgendwie schwachsinnig meinen beiden Mitbewohnerinnen da etwas vorzuschreiben oder von allem zwei Ausführungen herumstehen zu haben. Wir haben auch keine Kasse, es geht der einkaufen, der merkt, dass es fehlt, das klappt bei uns sehr gut und das finde ich auch am angenehmsten. Außerdem habe ich Glück und die Zwei kaufen von alleine eh meist bei dm ein, da ist die Trefferquote ja recht hoch.
Bei meinem Freund mache ich das eigentlich genauso. Ich weigere mich ja nicht die Spülmaschine anzustellen, weil ich nicht weiß, ob sein Reiniger vegan ist. Was mir viel unangenehmer ist, ist wenn ich mal vergesse (und so selten ist das leider nicht) irgendetwas einzupacken. Z.B. meine Zahnpasta oder Deo. Auch dann benutze ich seins.
Ähnliches gilt z.B. auch für öffentliche Toiletten oder wenn ich allgemein irgendwo zu Besuch bin. Ich hab schon genug in meiner Tasche, ich schleppe nicht auch noch Seife mit mir herum.
5. Mein Job: Eigentlich ist der ganze Job ein Kompromiss an sich. Ich serviere Fleisch, Fisch, Käse, Eier, Milchkaffe, schreibe die Abendkarte und bringe den Leuten mehr Alkohol als gut für sie wäre. Hier bin ich ehrlich gesagt egoistisch: Ich liebe meine Kollegen und der Job bringt gutes Geld. Mehr, als ich woanders verdienen könnte. Im Endeffekt ist er auch ein Mittel zum Zweck, denn mit einem anderen Job wäre es mir vermutlich nicht möglich so viele bio- und fair trade Produkte zu kaufen.
6. Kino: Filme sind (es sei denn, sie sind digital) immer (!) mit einer Gelatineschicht überzogen. Wenn man mal die Länge der Rollen aller Filme in Deutschland zusammenrechnet, kommt man schon auf eine beachtliche Masse an Gelatine. (Und das ist ja nur minimal vergleichen mit dem restlichen Weltanteil.) Trotzdem halte ich hier den Boykott für wenig bis gar nicht sinnvoll. Stattdessen kann man lieber Produktionsfirmen darauf aufmerksam machen und versuchen sie von digitalen Filmen überzeugen. Aber auch das kommt meines Erachtens eh mit der Zeit und so ein Produktionsbüro würde mit Sicherheit eine solche Mail eher zur Belustigung an den Kühlschrank hängen, als sich darüber Gedanken zu machen.
Analog fotografieren mache ich seitdem ich das weiß aber nicht mehr.
7. Alkohol und Säfte: Dass ich es da (noch) nicht so genau nehme ist mir eigentlich sogar peinlich. Weine, nicht-deutsche Biere, Sekt, Champagner, bestimmte Liköre und Schnäpse aber auch Fruchtsäfte (manchmal sogar naturtrübe!) werden mit Gelatine oder Hausenblase geklärt. Das ist sowohl von der Produktionsseite, als auch meiner Seite, der des Verbrauchers verhältnismäßig leicht zu vermeiden. Warum tue ich das nicht? Weil ich alle genannten Produkte kaum konsumiere. Ich trinke sehr selten Säfte oder Alkohol, wenn ich so etwas mal für zu Hause kaufe recherchiere ich vorher, aber auf der Arbeit (schon wieder ein Kompromiss im Job) schließe ich den Feierabend alle paar Wochen mal mit einem kleinen Rotwein. Ich gehe zwar davon aus, dass er nicht vegan ist, aber irgendwie habe ich dass leider doch bisher ausgeblendet... Bei Dingen, von denen ich weiß, dass sie definitiv nicht vegan sind (z.B. Martini oder Baileys) lasse ich die Finger. Alles in allem finde ich es einen recht undurchsichtigen Bereich in den ich mich noch mehr einarbeiten muss.
8. Geschenke: Eigentlich hatte ich mir vorgenommen keine unveganen Geschenke mehr anzunehmen oder sie zumindest direkt weiterzuschenken. Manchmal klappt es auch, aber eben nicht immer. Meine Mutter ist Zahnarzthelferin und Fußpflegerin, die versteht einfach nicht, wie weit das Vegansein geht, bzw. was es alles mit einbezieht und deswegen bringt sie jedes Mal fröhlich
Schrunden Wunder, Zahnseide und ähnliches mit. Das überfordert mich ein wenig, letztens hatte ich Besuch aus Indien, die konnte sich total dafür begeistern und hat das alles mitgenommen, aber das passiert ja nun auch nicht jeden Tag.
Süßigkeiten oder ähnliches loszuwerden ist dahingegen kein Problem, andererseits habe ich auch jedes Mal das Gefühl, dass ich demjenigen dann etwas Schlechtes antue und das will ich ja auch nicht.
9. Noch weit in der Zukunft aber einen Gedanken wert - Kinder: Da ich eine ausgewogene vegane Ernährung mit hohem Rohkostanteil als die Beste für den Menschen erachte, würde ich meine Kinder auch so ernähren wollen. Aber ich könnte keine von diesen Müttern sein, die ihren Kindern "anderes" Essen verbietet. Das heißt, wenn sie woanders eingeladen sind würde ich ihnen bestimmt veganes Gebäck oder was auch immer es da geben wird mitgeben, aber ich würde niemals sagen, dass sie das Essen von den anderen nicht anrühren dürfen. Zu Hause kommt eh nix anderes auf den Tisch, aber auswärts ist es etwas anderes. Das hier auszuführen würde allerdings den Rahmen sprengen.
10. Amazon: Die versenden immer noch Pelze und Stopfleber, von allen "normalen" Qualprodukten mal abgesehen. Und irgendwo habe ich auch über Knebelverträger mit Angestellten und Zustellern gelesen. Eigentlich wäre es einfach und richtig, sich da abzumelden. Aber dann kommt meine Ungeduld ins Spiel. Vorletzte Woche ist abends, inmitten verschiedener Uni-Unterlagen unser Drucker endgültig kaputt gegangen. Wir haben es alle kommen sehen, aber ich kaufe erst nach, wenn etwas wirklich hinüber ist. An dem Abend war ich aber so frustriert, weil meine Hände schon schwarz waren und das Wohnzimmer voller Papierschnipsel lag, dass ich einen Neuen bestellt habe. Da war ich ich erst mal beruhigt, trotzdem war es kompletter Schwachsinn. Der Drucker war tatsächlich erst nach Ostern da, hätte ich mich einfach an dem Abend beruhigt, hätte ich am nächsten Tag einen neuen kaufen gehen können. Aber für die Zukunft gilt: Es gibt ALLES auch woanders und der höhere Preis ist es wert.
11. Reste: Kennt ja vermutlich jeder: Ich habe noch Schuhe aus Leder, Strickjacken und einen Teppich aus Wolle, Kosmetik in der wer weiß was drin ist usw. Wegschmeißen ist offensichtlich Unsinn, aber selbst verschenken könnte ich es nicht, denn die finanziellen Mittel alles auf einmal vegan und nachhaltig zu ersetzen, die habe ich nicht. Hier gilt die Devise: Aufbrauchen und dann vegan (und möglichst fair und nachhaltig) nachkaufen.
12. Spuren: "Dieses Produkt kann Spuren von Milch, Eiern, Soja, Erdnüssen" usw. enthalten. Das steht ja beinahe überall drauf. Da ich gegen nichts allergisch bin, sind mir die Spuren egal. Ich kaufe kein Produkt, indem sich absichtlich tierische Produkte befinden, insofern unterstütze ich auch finanziell keine Tierausbeutung, da (eventuelle!) Kreuzkontaminationen, Spuren etc. nur produktionsbedingt sind. Auch gesundheitlich wird das wohl nichts ausmachen.
13. Kasein im Kleber: In Klebstoffen ist oft Kasein enthalten. So kommt es, dass oft vegane Lebensmittel oder Kunstlederschuhe usw. genau genommen nicht vegan sind. Das ist sehr schade, aber ich halte es da wie mit den Kino-Besuchen: Ein Boykott ist hier Quatsch und bringt rein gar nichts.
So, ich hab jetzt ungefähr zwei Wochen gesammelt und muss gleich zur Arbeit - ich bin schon sehr gespannt, wie ihr reagiert ;)